Das Bühnenmodell

„Wir alle spielen Theater.“ So der treffende deutschsprachige Titel eines der Hauptwerke des bedeutenden us-amerikanisch/kanadischen Soziologen und sozialpsychologischen Forschers, Erving Goffman. Seine Erkenntnisse über das „wahre Leben“ und seine Inszenierung dienen uns als Vorlage, um aufzuzeigen, dass auch Präsentationen (insbesondere professionelle) mit einem Auftritt im Theater fruchtbar zu vergleichen sind.

Damit Ihnen deutlich wird, was wir genau damit meinen und wie Sie dieses Wissen für sich  praxisnah nutzen können, führen wir zunächst anhand der wichtigsten Begriffe in die Welt des „Theater-Spielens“ ein. Das so entstehende Verständnis für das Bühnenmodell, welches wir auch als Methode in unseren Trainings nutzen,  lässt die theatralischen Züge unserer Realität sichtbar werden.

Die wesentlichen Begriffe und Erklärungen, die wir heranziehen, konzentrieren sich auf unser Thema „Präsentieren“ und werden auch daran exemplarisch vorgestellt: Rollen und Erwartungen, Darstellung und Inszenierung, Image, Publikum, Vorder- und Hinterbühne, Drehbuch und Dramaturgie.

Die Rollenerwartung

Wenn Sie präsentieren, nehmen Sie eine Rolle ein. Ob Sie wollen oder nicht. Nehmen wir ein Beispiel: Sie sind PR-Berater und haben einen Akquisitionstermin bei einem potenziellen Kunden, einer Bank. Dort sitzen mehrere Personen aus dieser Bank, zum Beispiel der Marketingleiter und seine Sekretärin, zwei Controller, die Personalleiterin, eine Personalbeauftragte sowie der Niederlassungsleiter. Es geht darum, diesem Personenkreis ein PR-Konzept vorzustellen, mit dem die Bank ihren Bekanntheitsgrad erweitern und so neue Kunden gewinnen kann.

Wenn Sie nun präsentieren, machen Sie dies in der Rolle des PR-Beraters. Sie treten dort nicht in der Rolle als Mitarbeiter, als Führungskraft, als Freund, als Mutter oder Vater auf. Nein, Sie sind im Job und alle erwarten auch von Ihnen diese Rolle des PR-Beraters einzunehmen und überzeugend zu verkörpern. Im englischsprachigen Raum spricht man üblicherweise von „part“. Das ist treffend, denn Sie sind in Ihrer Rolle ein Teil einer „Aufführung“. Genauso wie Schauspieler im Theater in die Rolle des Verbrechers, der Liebhaberin, des gebrochenen Mannes oder der trauernden Witwe schlüpfen, schlüpfen Sie in die Rolle des Beraters. Und diese Rolle spielen Sie entweder gut oder schlecht. Mit Spielen ist nicht täuschen, vorgaukeln oder sich verbiegen gemeint. Im Gegenteil, das Spiel sollte im besten Falle absolut authentisch, ehrlich und glaubwürdig sein.

 

An Rollen sind immer Erwartungen geknüpft. Erwartungen können sich auf Verhaltensweisen, den Sprachgebrauch, Charaktereigenschaften oder Äußerlichkeiten beziehen.

 

Jede Situation schafft den Rahmen, der unsere Rolle definiert, von der die anderen etwas erwarten und die unser Verhalten steuert. Wiederum erwarten wir selber eben diese Erwartungen hinsichtlich unserer jeweiligen Rolle innerhalb des Rahmens, was so wiederum unser Verhalten beeinflusst. Wir erwarten also situationsspezifische
Erwartungen und benutzen sie als Blaupause für unser Verhalten. Ein Darsteller stellt bei der Übernahme einer etablierten sozialen Rolle (z. B. Kellner) fest, dass es bereits eine Fassade für diese Rolle gibt − er greift auf ein von der Gesellschaft bereitgestelltes Ausdrucksrepertoire zurück, welches es ihm ermöglicht, sich recht zügig erfolgreich in dieser Rolle zu bewegen und es den Zuschauern leichter macht, das Dargestellte zu verstehen und vor allem zu bewerten. Erwartungen treffen auf Erwartungen treffen auf Erwartungen und so weiter.

Von einem Schauspieler, der als Verbrecher agiert, erwarten wir bestimmte Dinge, damit wir ihm die Rolle auch abnehmen. Wir kennen die in der Gesellschaft bereits vorhandene Fassade "Verbrecher" und viele ihrer Varianten (Drogendealer, Mörder, Dieb, Betrüger etc.). Und so erwartet der Schauspieler selbstverständlich, dass wir gewisses von ihm erwarten. Er muss vielleicht böse sein, gefühlskalt, abgeklärt und rücksichtslos. Nun kann eine Rolle so angelegt sein, dass der Schauspieler den Erwartungen einfach gerecht wird, sie enttäuscht oder mit ihnen bricht und das Publikum vor grundsätzliche Fragen der eigenen Erwartungsbildung stellt. Warum genießen zum Beispiel Schauspieler wie Robert de Niro, Meryl Streep, Katharina Thalbach oder Götz George so hohes Ansehen? Weil sie ihre Rollen glaubhaft spielen, weil sie so tief in die Rollenerwartungen und deren Muster eintauchen können, dass man ihnen im Moment des Zuschauens alles abnimmt, eben auch die Nicht-Erfüllung einer Erwartung.  Pacino bestach durch die Glaubwürdigkeit seiner Rolle als Blinder Despot mit gutem Herzen in „Der Duft der Frauen“.

Anders als im Schauspiel ist die Notwendigkeit der Erfüllung, der an Rollen geknüpften Erwartungen, in der Realität wesentlich wichtiger. In der Rolle des PR-Beraters erwarten Kunden auch bestimmte Dinge. Diese Dinge sind meistens an allgemeingültige Standards und persönliche Erfahrungen, aber auch an Klischees oder Vorurteile gebunden. Von PR-Beratern erwartet man vielleicht üblicherweise einen Blick für das Modische. Also erwartet man Dinge wie zum Beispiel einen modernen, dunklen Anzug, eine moderne Brille und Frisur, Markenbekleidung. Darüber hinaus steht die PR-Branche für Frische. Also erwartet man einen schlanken und sportlichen Typen, der Vitalität und Dynamik ausstrahlt. Von Maschinenbau-Ingenieuren, IT-Experten, Juristen, Finanzberatern oder Betriebswirten erwarten wir jeweils auch unterschiedliche Dinge. Und ebenso erwarten diese Menschen, dass wir ganz gewisse Dinge von ihnen erwarten und eben genau darauf kommt es an: Ist mein Bild, meine Vorstellung von der erwarteten Erwartung korrekt?

Eine Rolle kann glaubwürdig sein oder nicht. Das hat zum einen damit zu tun, ob Sie sich in dieser Rolle wohlfühlen, sich mit ihr identifizieren können und überzeugt von dem sind, was Sie in der Rolle von sich geben. Zum anderen hat es damit zu tun, ob Ihr Publikum Ihnen Ihr Rollenspiel abnimmt, ihnen glaubt und vertraut und am Ende überzeugt ist. Und im Unterschied zum echten Theater ergibt sich in der Realität ein weiteres Problem mit dem Publikum: es gibt niemals ein reines Publikum, da jeder „Zuschauer“ selbst eine Rolle inne hat, die ihn zum Mitgestalter der gesamten Situation macht und die unmittelbar auf die Situation und auf mich in meinem Verhalten Einfluss nimmt. Bedenken Sie: Auch Sie haben Erwartungen an ihr Publikum, an den Kunden zum Beispiel. Und auch Ihr Publikum erwartet, dass Sie etwas von ihm erwarten: zum Beispiel Kritik oder nicht vorhandene Kaufbereitschaft. In diesem Spannungsfeld der gegenseitigen Erwartungserwartungen entsteht die sichtbare Ausprägung, die jeweils aktuelle Realität der jeweiligen Rolle.

Die Identifikation mit der eigenen Rolle ist hingegen verhältnismäßig leicht zu fassen, denn Sie können an Ihrer inneren Einstellung und Überzeugung reflektiert arbeiten. Die Akzeptanz Ihrer Rolle können Sie beeinflussen und bis zu einem bestimmten Grad sicherstellen. Ihr Publikum bleibt aber stets ein Unsicherheitsfaktor. Dennoch werden wir Ihnen zeigen, wie Sie die Wirkung auf Ihr Publikum gezielt gestalten können und worauf es tendenziell positiv reagiert.

Weiter geht es am 9. April…

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